El Duderino 22. April 2013 um 00:55
- 22. April 2013 um 00:55
Maurice Ravels Teufelsmusik: "Gaspard de la nuit"
Ursprung
»Momentan scheint sich die Inspiration wieder zu beleben. Nach langen Monaten der Vorbereitung wird Gaspard de la nuit das Tageslicht erblicken. [...] Dazu musste der Teufel kommen, Gaspard, was logisch ist, da ER der Autor der Gedichte ist.« So dramatisch beschrieb Ravel die Entstehung seines düsteren Klavierzyklus' Gaspard de la nuit (Lässt sich wohl in etwa »Kaspar (aus) der Nacht« übersetzen.). Tatsächlich gelang Ravel eine seiner dunkelsten Musiken, in der er Gedichte des von ihm verehrten Aloysius (Louis) Bertrand vertonte. Dessen 52 Prosa-Gedichte Gaspard de la nuit. Fantaisies à la manière de Rembrandt et de Callot waren 1842 erschienen und beeinflussten mit ihrer morbiden Stimmung die kommenden Generationen französischer und auch deutscher Dichter. Im Vorwort kreiert Bertrand den Mythos, die Texte habe ihm ein Gaspard übergeben, (daher auch Ravels »...ER der Autor der Gedichte..«) Bertrand wolle die Texte nur veröffentlichen. Dass Ravel mit der Vertonung dieser todesnahen Gedichte 1908 dem raschen Verfall seines Vaters etwas entgegensetzen wollte, wird oft vermutet, lässt sich aber schwer nachweisen. Aus Ravels Reaktion nach dem Tod des Vaters, der nach Vollendung, aber vor der Uraufführung des Werks starb, kann man jedoch ableiten, wie sehr ihn des Vaters Krankheit belastet hat: "Bis zu dem Moment, wo alles vorbei ist, glaubt man nicht, daß es so schrecklich sein wird, und erst danach merkt man, wie gerne man sie noch behalten hätte.. selbst in diesem Zustand."
Drei Gedichte wählte Ravel aus: Undine erzählt vom Besuch der Undine (eher unüblich als nasse Besucherin am Palastfenster), die nach ausgeschlagenem Heiratsangebot wieder in der regnerischen Nacht verschwindet. Le Gibet versucht, die herbei gewehten Geräusche des »nächtlichen Nordwindes« zu deuten, bis klar ist, dass dieser Klang von der »Glocke, die an den Mauern der Stadt läutet« stammt, neben der Glocke der »Kadaver eines Gehängten«. Scarbo stellt das Gespräch mit einem Gnom dar, der dem Erzähler berichtet, wie er seinen Leichnam einhüllen und lagern werde, in "Sankt Benignus", wo "ich dich aufrecht gegen die Mauer betten werde«, wo der Erzähler »in Muße die kleinen Kinder im Limbus weinen hören« werde.Die Musik
Man tut der Musik kein Unrecht, wenn man sie als Gedicht-Vertonung einsortiert. In keinem anderen seiner Klavierwerke hat Ravel derart stark Bezug auf eine literarische Vorlage genommen, hat er jedem Satz ein komplettes Gedicht vorangestellt. Alle drei von Ravel vertonten Gedichte sind von klanglichen Phänomenen geprägt, zeitliche Abfolgen spielen dagegen nur im Hintergrund eine Rolle. Es ist entsprechend schwer zu sagen, wie detailliert Ravel die Prosa Bertrands nachgebildet hat, manche Klänge und Abfolgen sind aber deutlich von der literarischen Vorlage abgeleitet.
Gaspard de la nuit ist Virtuosenmusik, von Ravel ausdrücklich so genannt. Gegenüber Maurice Delage äußerte Ravel, er wolle Balakirevs Islamey hinsichtlich Schwierigkeit toppen, zur Vorbereitung der Undine solle man Liszts Feux follets üben. Nur der Mittelsatz ist für eine qua Beruf nur mäßig beanspruchbare Gruppe Pianisten geschrieben: Dem Musikjournalisten Jean Marnold schrieb Ravel: »Lieber Freund, ich habe die Absicht, Ihnen »Le gibet« [Der Galgen] zu widmen. Es ist nicht so, dass ich denke, Sie verdienen ein Seil, um sich aufzuhängen, sondern es ist das am wenigsten schwere Stück der drei. Sie werden es spielen können, was ich, selbstredend ohne Ihre Qualitäten als Virtuose schmälern zu wollen, von den beiden anderen nicht zu hoffen wagen würde.«Den Verzicht auf eine ausführliche Analyse möge man mir nachsehen, dafür reichen meine Kenntnisse nicht aus, die außerdem vor dem Vorsatz Ravels kapitulieren müssen, eine möglichst frei gebaute Musik zu schreiben.
Immerhin einige Elemente, aus denen die Sätze sich zusammensetzen, können genannt werden:
Den Kopfsatz eröffnet eine rhythmisch unregelmäßige 32-stel-Bewegung, die überraschenderweise auf jedem Viertel von vorn beginnt. Gehört habe ich diese »regelmäßige Unregelmäßigkeit« nie, für mich lief da eine metrisch nicht gleichmäßige Reihe ab. Da hat Ravel wunderbar einen freien Klangzauber im 4/4-Takt geschrieben. Die erste Hälfte des Satzes prägt dann ein von der Eins entspannt abfallendes Thema. Ein zweites, diesmal aufsteigendes Thema leitet einen prächtigen Höhepunkt ein, nach dem der Satz seinem klanglichen Tiefpunkt entgegengeht, einer einstimmig vorgetragenen Version des ersten Themas. Ein kurzer Ausbruch ebbt dann sans ralentir zum Ende hin ab.
Der zweite Satz lebt (höhö) von ähnlichen Elementen wie der Kopfsatz: Noch viel deutlicher als in Undine durchzieht ein ostinato den Satz: Ein metrisch unklar gesetzter, aber nahezu gleich bleibender Rhythmus auf dem Ton b , erst in Oktaven angeschlagen, dann nur auf dem oberen b wiederholt. Das klingt tatsächlich, wie eine schwingende Glocke eben klingt, in diesem Fall eine klingende Nachbildung der Glocke aus Bertrands Gedicht. Drei Motive nutzt Ravel in diesem langsamen Satz, von seinem Kollegen Olivier Messiaen folgendermaßen bezeichnet: 1. »die Nacht und der Tod fallen auf alle Dinge«, 2. »expressives Motiv, das einen weiblichen Rhythmus benötigte: Anakrusis – Akzent – stumme Endung.«, 3. »das Spinnennetz, das den Gehenkten bedeckt«
Der dritte Satz wäre ohne die Erfindung der Repetitionsmechanik undenkbar. Grummelige oder bruchstückhafte Episoden werden immer wieder durch ein leidenschaftliches Thema unterbrochen, das frappierend an Ravels La Valse erinnert. (Keine abwegige Vermutung, dass hier Material aus den Skizzen zu La Valse entnommen wurde, an denen Ravel zu dieser Zeit hin und wieder saß und die erst viele Jahre später zum bekannten Todes-Walzer führen sollten.) Dieses kurze, tänzerische Thema versinkt jedoch immer schnell wieder in Dunkelheit. Ein staccato-Figur wird eingeführt, kurz darauf ein scharf auftaktiges Motiv. Walzer-Thema und staccato-Figur schaukeln sich hoch, kulminieren in einem ersten Höhepunkt mit Material des Auftakt-Motivs. Das Geschehen beruhigt sich, es folgt eine dem Beginn ähnliche Ruhe. Wieder entwickeln sich alle drei Bausteine zu großem Lärm. Eine kurze Reminiszenz an den Anfang von Undine schließt den Kreis, der Satz endet überraschend flüchtig, wieder sans ralentir im pp.Aufnahmen
Ich bin im Besitz dreier Aufnahmen: Martha Argerich, Steven Osborne und Samson Francois.
Am konventionellsten klingt für mich die Osborne-Aufnahme. Alles da, alles richtig, alles persönlich. Manche Phasierung steht anders in den Noten, die Dynamik liegt bei ihm eng zusammen. (..oder um es anders zu sagen: So besonders viel passiert, besonders im p, nicht..) Wo der Hammer hängt, hört man meinen Ohren nach dann eher bei Martha Argerich.
Vielleicht liegt's am Flügel, aber dass schon das erste Undine-Thema wie Harfe klingt, finde ich hinreißend. Die Phrasierung ist genau, wie es in den Noten steht. Wenn sie später im Satz den Höhepunkt ansteuert, vergisst sie die feinen, eingetragenen Abstufungen nicht und natürlich knallt's trotzdem richtig. Nur den wilden Ausbruch kurz vor Ende der Undine finde ich nicht wirklich logisch entwickelt.
Ziemlich ungewöhnlich finde ich die beiden Aufnahmen auf der neuen Francois-Ravel-Box. (Auch wenn ich noch keine Zeit hatte, die Unterschiede zwischen den beiden Aufnahmen selbst aufzuspüren.) Das Tempo in der Undine eher getragen, die bei allen anderen wie Nebenstimmen behandelten Linien bekommen bei Francois viel mehr Gewicht. Der Höhepunkt des ersten Satzes wird dermaßen gründlich und trotzdem wild ausgespielt, dass ich diesen ungewöhnlichen Zugang schon faszinierend finde. Alles klingt ziemlich trocken (wenig Pedal?), nix mit »Klangzauber des Impressionismus«, das ist eher Stravinsky, besonders im wild vorgetragenen Scarbo.
Informationen aus:
Ulrich Tadday (Hg.): Musik-Konzepte 154 - Maurice Ravel
Richard Boorberg Verlag GmbH& Co KG München 2011Michael Stegemann: Maurice Ravel
Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH Hamburg 1996- 22. April 2013 um 10:30
Vielen Dank für diese Vorstellung, wieder einmal konnte ich dadurch ein Werk entdecken, dass mir bis dahin völlig unbekannt war und nachdem ich es nun gehört habe, gar nicht mehr verstehen wie ich je ohne ausgekommen bin.
Ein wunderbares Werk.Den ersten Teil "Undine" mit Martha Argerich gibt's auch auf yt :
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Und alle 3 Teile mit Claudio Arrau :
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- 22. April 2013 um 11:41
Ein faszinierendes Werk, der "Gaspard"!
Eines das an die Grenzen der Interpreten geht, wollte Ravel hier doch eine "transzendentale Virtuosität" erreichen.
Traumhaft, rauschhaft schön, wenn sich derlei "Grenzgängertum" elegant, raffiniert und "grenzenlos leicht" anhört ...Einer, der so ein "Flow-Erlebnis" auch live bieten konnte,
einer, bei dem Eleganz und Raffinesse mit der Leichtigkeit einer wie selbstverständlich praktizierten Virtuosität zu hören war,
(und leider, leider muss man derzeit wohl in der Vergangenheit schreiben :cry: )
ist BORIS BEREZOVSKYDanke für die Thread-Eröffnung!
- 22. April 2013 um 12:29
Zitat von Succubus
wieder einmal konnte ich dadurch ein Werk entdecken, dass mir bis dahin völlig unbekannt war und nachdem ich es nun gehört habe, gar nicht mehr verstehen wie ich je ohne ausgekommen bin.
Schön gesagt!Für umme und in guter Qualität gibt's online auch noch einen Konzertmitschnitt mit Herbert Schuch aus einem Mainzer Klavierabend. Dat jefällt mir ooch!
"http://www.swr.de/swr2/musik/mus…493048/1bzuoqe/"
Zitat von Berenice
Traumhaft, rauschhaft schön, wenn sich derlei "Grenzgängertum" elegant, raffiniert und "grenzenlos leicht" anhört ...
Das Tolle bei Ravel und auch beim Gaspard ist für mich diese ewige Konstruktion, aus der dann doch etwas sehr Ehrliches entspringt. Ich finde, selbst im wildesten Rausch hört man noch die Elemente, aus denen die Musik gebaut ist. (Zumindest, wenn kein "Impressionist" mit Bleifuß auf Pedal am Flügel sitzt.)
Klaus Wolters meinte über die engen Grenzen, die der Pedant Ravel dem Interpreten setzt: ".. im Ausschöpfen einer genau determinierten Endlichkeit bleibt naturgemäß kein Raum für eine psychologische Ausdeutung über die Grenzen des von ihm gesteckten Rahmens hinaus, mag dieser Rahmen auch - etwa in "Gaspard de la nuit" - sehr weit gefasst sein. Andererseits wäre es durchaus unrichtig [schlechthin falsch ], in seiner Musik nur das artistische Spiel eines Intellektuellen sehen zu wollen. Ravels Musik ist ohne Zweifel stark gefühlsbetont. Mein römischer Lehrer Guido Agosti hat mir einmal die sehr schöne Formulierung eines "Sentimentalismo intelletuale" im Zusammenhang mit Ravels "Tombeau de Couperin" genannt."
Das ist genau das, was mich besonders am Gaspard so berührt.- 22. April 2013 um 13:01
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Nicht schlecht für einen 75-jährigen... :juhu: :juhu: :juhu: :juhu: :juhu:
- 22. April 2013 um 13:52
- 22. April 2013 um 14:11
Habe gerade letzte Woche den Gaspard verglichen, anlässlich des Erwerbs der Aufnahme von Hüseyin Sermet (gut). Allerdings habe ich mit Marcelle Meyer und Vlado Perlemuter angefangen, daß waren die,welche am nächsten dran waren an Ravel. Ja, und dann der Gieseking (ebenfalls RIAS, da die Aufnahme auf Pearl bzw.Große Pianisten ausw den 30ern akustisch zu schlecht ist. Und die Studio EMI ist statischer als die Rias). Und bei Michelangeli mag ich die Vatikan lieber als seine anderen, z.B.London. Reine Geschmackssache. Von den Neueren Herbert Schuch und Hüseyin Sermet. Muß mal suchen, was ich sonst noch habe.
- 22. April 2013 um 14:19
Ab in den Gaspard-Thread damit! :yes:
- 22. April 2013 um 14:21
Zitat von b-major
Ja, und dann der Gieseking (ebenfalls RIAS, da die Aufnahme auf Pearl bzw.Große Pianisten ausw den 30ern akustisch zu schlecht ist. Und die Studio EMI ist statischer als die Rias). Und bei Michelangeli mag ich die Vatikan lieber als seine anderen, z.B.London. Reine Geschmackssache.
Außer Gieseking RIAS rec. 1.+2.10.1955 habe ich auch noch eine Rococo-LP mit einem Live-Mitschnitt von Gieseking (leider ohne diskografische Angaben). Er spielt die 24 Préludes op. 11 von Scriabin sowie den Gaspard von Ravel. Gieseking ist für mich sehr überzeugend. Von Richter gibt es leider nur den Mittelsatz, den er in den 50er und 60er Jahren gelegentlich aufführte, wenn er eine Ravel-Auswahl spielte. Aber immerhin haben sich zwei Richter-Mitschnitte von "Le Gibet" erhalten. Hier der Moskauer Mitschnitt von 1954: "
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Zitat von El Duderino
Ab in den Gaspard-Thread damit! :yes:
Wenn die Moderation verschieben möchte: gern.
Möchte sie. ;+) Ich habe die Beiträge aus "Eben gehört" hier hinein kopiert. Federica
- 23. April 2013 um 13:40
Zitat von b-major
Da ist Gaspard mit drauf
Tatsächlich. Ich habe mir die von Dir abgebildete CD gerade mal aus meinem Regal gezogen. Dann habe ich also noch eine Aufnahme des Gaspard, die mir gar nicht erinnerlich war (auf dem Frontcover werden ebenso wie auf der seitlichen Zeile nur Rachmaninow-Werke genannt)
Andrej Gawrilow habe ich mal in den 80er Jahren im Konzertsaal mit dem Gaspard erlebt. Sehr beeindruckend. Als Swjatoslaw Richter (der später sein Förderer wurde, z.B. indem er kurzfristig vor einem Konzert der Salzburger Festspiele "erkrankte", so dass Gawrilow für ihn einsprang und kräftig abräumte) ihn zum ersten Mal hörte, gab Gawrilow u.a. ebenfalls den Gaspard. In seinem Tagebuch notierte Richter unter dem 6. Juli 1976 über diese Gawrilow-Matinee in Grange de Meslay: "Scriabin wurde ideal gespielt, Ravel ebenso. Er hat triumphiert." (s. Bruno Monsaingeon, "Swjatoslaw Richter - Mein Leben, meine Musik", STACCATO-Verlag 2005, S. 260). Dass Gawrilows beeindruckende Interpretation aber der Grund dafür gewesen sein soll, dass Richter "Ondine" und "Scarbo" nie öffentlich spielte, wie dies in einem der Kommentare auf "
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" behauptet wird, halte ich für zu weit hergeholt. Ausweislich Monsaingeon, a.a.O., S. 453 hatte Richter nämlich selbst "Le Gibet" bereits seit den 60er Jahren aus seinem Repertoire gestrichen. Insgesamt führte er "Le Gibet" nur 9-mal auf (2-mal in den 50er, 7-mal in den 60er Jahren). Das Konzerterlebnis mit Gawrilow am 6. Juli 1976 kann also eigentlich nicht der Grund für die von ihm bereits sehr viel früher getroffene Entscheidung sein, nur "Le Gibet" aufzuführen, nicht hingegen den gesamten Gaspard.
Deine Wertschätzung für die auf der CD 31 der Samson François-Box befindliche Aufnahme des "Scarbo" vom 24. September 1947 teile ich. Der "Scarbo" gelang ihm hier besser als in der Gesamtaufnahme des Gaspard aus dem Jahr 1967 (CD 16 der Box). Was ich an der 1967er Aufnahme aber sehr mag, ist "Le Gibet". Das kommt an Richters 1954er Versionen heran. Was hältst Du von der 1957er Aufnahme des Gaspard (CD 15 der Box)?
- 23. April 2013 um 14:35
Meinen Francois" ideal" Gaspard kennst du ja jetzt. Ich finde immer den Vergleich Perlemuter/Meyer interessant. Beide wurden von Ravel gelobt , der alles andere als ein guter Pianist war (siehe: Szigeti, Zwischen den Saiten).
Aber Meyer hat in den 50ern aufgenommen (und wurde nicht veröffentlicht), und Perlemuter erst 30 Jahre später. Übrigens, zu Richter und seiner Einspiel-Politik: ich fragte ihn, warum er die Hammerklavier-Sonate nie kommerziell eingespielt hat. Antwort :ob ich Anatoly Vedernikov kenne ? Der hätte sie eingespielt, besser könne er es auch nicht.(analog zu Gavrilov, oder?)
- 23. April 2013 um 15:28
Zitat von b-major
Übrigens, zu Richter und seiner Einspiel-Politik: ich fragte ihn, warum er die Hammerklavier-Sonate nie kommerziell eingespielt hat. Antwort :ob ich Anatoly Vedernikov kenne ? Der hätte sie eingespielt, besser könne er es auch nicht.(analog zu Gavrilov, oder?)
Das ist eine hochinteressante Info! Ich antworte Dir darauf, weil hier OT, im Richter-Thread, okay? Kann aber bis morgen mittag dauern.
- 24. April 2013 um 12:45
Zitat von El Duderino
Das Tolle bei Ravel und auch beim Gaspard ist für mich diese ewige Konstruktion, aus der dann doch etwas sehr Ehrliches entspringt. Ich finde, selbst im wildesten Rausch hört man noch die Elemente, aus denen die Musik gebaut ist. (Zumindest, wenn kein "Impressionist" mit Bleifuß auf Pedal am Flügel sitzt.)
Genau, und deshalb finde ich, dass der Interpret bei Ravel eine gewisse emotionale Distanz, fast Kühle braucht. Diese Musik ist zwar in ihrer Art höchst emotional, aber zugleich anti-romantisch. Ihr Ausdruck ist im wahrsten Sinne des Wortes "objektiv", denn er entspringt der Konstruktion der Werke selbst, nicht dem Gefühlsleben des Interpreten. Bei Gaspard de la nuit hat das für mein Empfinden Arturo Benedetti Michelangeli einzigartig gezeigt. Die glasklare Transparenz und die kühle Strenge seines Spiels wirken hier auf mich weit beeindruckender und zur Musik passender als jede noch so emphatische Gefühlsentäußerung. Ich habe ihn vor vielen Jahren in der Kölner Philharmonie live mit Gaspard gehört, auf CD habe ich diese Aufnahme:
Christian
- 24. April 2013 um 15:50
Zitat von b-major
Dann solltest du doch mal Michelangelis späte Vatikan version hören: da ist die angesprochene Distanz noch ausgeprägter !
Vielen Dank für den Tipp, ich habe sie schnell (Michael, bitte weghören) als Download gekauft. Wenn die Metadaten stimmen, stammt die Aufnahme von 1987, das müsste auch ungefähr die Zeit gewesen sein, in der ich ihn live gehört habe. Weißt Du zufällig, von wann die BBC-Aufnahme ist?
Christian
- 24. April 2013 um 16:06
Die Vatikan-Aufnahmen von ABM kannst Du für'n Appel und 'n Ei in der von mir in #6 abgebildeten 10 CD-Box kaufen. Ich hatte damals 9,99 € bezahlt, inzwischen bekommst Du sie aber noch günstiger.
- 24. April 2013 um 16:06
Tschuldigung wenn ich statt b-major antworte, aber ich hatte es gerade recherchiert.
Das BBC-Gaspard kommt von einem 1959 Recital.
Das Vatikan Gaspard ist von 1987 und ist auch dasjenige, das man in der blauen Wallet-Box findet, die oben abgebildet ist und (genau wie die braune Wallet-Box) unbestritten ein Must-Have ist.- 24. April 2013 um 16:22
Zitat von music lover
Die Vatikan-Aufnahmen von ABM kannst Du für'n Appel und 'n Ei in der von mir in #6 abgebildeten 10 CD-Box kaufen.
Zitat von Philbert
Das BBC-Gaspard kommt von einem 1959 Recital.
Das Vatikan Gaspard ist von 1987 und ist auch dasjenige, das man in der blauen Wallet-Box findet, die oben abgebildet ist und (genau wie die braune Wallet-Box) unstreitbar ein Must-Have ist.Vielen Dank, ich habe auch die BBC-Aufnahme nur als Download, und da steht in den Metadaten nur das Veröffentlichungsjahr. Die Box ist natürlich verführerisch, und bei dem Preis muss man eigentlich nicht lange überlegen. Andererseits muss ich zugeben, dass mir Michelangelis Stil nicht bei jeder Musik so passend zu sein scheint wie bei Ravel. Seine absolut perfektionistische Klarheit ist eben auch bei Beethoven oder Chopin mit einer gewissen "aristokratischen" Distanz verbunden, was mich da eher irritiert. Im Konzert fand ich damals neben Ravel - natürlich - seinen Debussy am beeindruckendsten, Chopin (b-moll-Sonate) eher fragwürdig. Aber natürlich auf dem höchsten denkbaren Niveau: Ich habe wirklich in meinem ganzen Leben keinen anderen Klavierabend gehört, bei dem nicht ein einziger falscher Ton passiert wäre. Es war einfach unfassbar. Und das bei einem wahren Monsterprogramm: Valses nobles, Images beide Hefte, b-moll-Sonate und eben Gaspard. Diese ganz spezielle Aura der absoluten Ernsthaftigkeit und Konzentration war schwer beeindruckend, aber in ihrem Fehlen aller Spontanität auch verstörend. Aber ich merke gerade: Das gehört nicht mehr hierhin...
Christian
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